Randecker Maar
 

Der sudetendeutsche Politiker Willibald Gatter

Gatter engagierte sich seit 1929 für sudetendeutsche Belange in der Tschechoslowakei im Reichstädter Kreis, einem Zirkel sudetendeutscher Intelektueller. 1933 war er Gründungsmitglied der Sudetendeutschen Heimatfront. Nach dem 2. Weltkrieg wurde er Mitglied der Sudetendeutschen Landsmannschaft und Gründungsmitglied der Liberal-Sozialistischen Partei Deutschlands. Als einer ihrer Vordenker entwarf Gatter das europäische Programm der Partei für die Bundestagswahlen von 1953. In seinem wirtschaftspolitischen Spätwerk "Weder Kapitalismus noch Kommunismus - Europas Liberal-Sozialismus" legte Gatter 1973 die Ziele und Ideale der Partei rückblickend dar.

 

Reichstädter Kreis und Sudetendeutsche Heimatfront

In Gatters Reichstädter Zeit fallen die Anfänge seiner politischen Betätigung und seine ersten politischen und wirtschaftswissenschaftlichen Schriften zur Lage der Nation, die er für diverse deutschsprachige Zeitungen des Sudetenlandes verfasste. Bereits 1929 stieß er zum Reichstädter Kreis, einem Zirkel engagierter und politisierter Intellektueller, der allwöchentlich im Hause des Direktors der Reichstädter Hochschule für Forstwirtschaft, Schmid zusammentraf. In der Hoffnung auf eine Internationalisierung des Sudetenproblems richtete der Reichstädter Kreis im Jahr 1930 eine von insgesamt 24 sudetendeutschen Petitionen an den Völkerbund, die zwischen 1920 und 1931 bei diesem Organ eingingen und die Unterdrückung der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei anprangerten. Sie alle verhallten im Nichts. So ist es nicht verwunderlich, dass wir Gatter im Oktober 1933 als Mitstreiter Konrad Henleins auf der Gründungsveranstaltung der Sudetendeutschen Heimatfront wiederfinden. Gatter bereist in jener Zeit das gesamte nördliche Sudetenland. Er fährt Autorennen und hält Reden und politische Vorträge, in welchen er eine sudetendeutsche Autonomie innerhalb der Tschechoslowakei fordert.


Gatters wirtschaftspolitische
Schrift (1972)
Link zum Gesamttext

   

Die auf seinen Reisen gesammelten Eindrücke zur zunehmenden Verelendung und Verarmung der deutschen Minderheit sowie der wachsenden Arbeitslosigkeit, fanden Eingang in seine 1935 in Deutsch und Tschechisch publizierte wirschaftspolitische Studie "Weg aus der Krise".

Willibald Gatters Onkel, der Karlsbader Kurarzt Arnold Gatter (1870-1941) kommentiert sie in einem Brief: "Deine Schrift habe ich mit Anteilnahme gelesen und so viele wertvolle Gedanken und Anregungen darin gefunden. Aber man wird fast schon müde sich mit diesen großen und schweren wichtigen Fragen der Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu befassen. In Parlamenten wird soviel gesprochen über Besserungspläne. Minister beraten und zerbrechen sich die Köpf, Diplomaten aller Länder kommen an den schönsten Orten der Welt zusammen, aber das Ergebnis ist immer ein Nichts und das Elend der Landeswirtschaft und Weltwirtschaft geht immer weiter, alles bricht zusammen, stöhnt und seufzt und muss hilflos zuschauen. Möge es Dir vielleicht gelingen eine Feder auszulösen, die die Räder der Maschine bis zum Anlaufen bringen."

Willibald Gatter engagierte sich 1935 als Wahlkämpfer und Redner der Partei, strebte jedoch selbst kein Mandat an. Mit 1,2 Millionen Stimmen und 15,2 Prozent Wähleranteil ging die Sudetendeutsche Heimatfront - umbenannt in Sudetendeutsche Partei - als stärkste Partei der Tschechoslowakei aus den Wahlen vom 19. Mai 1935 hervor. Im Abgeordnetenhaus wurde sie nach der tschechisch-republikanischen Partei der Agrarier zur zweitstärksten Fraktion mit 44 der 66 deutschen Sitzen. Dennoch wurde die Sudetendeutsche Partei nicht an der Regierungsbildung beteiligt, wodurch sich der Eindruck unter den Sudetendeutschen verstärkte, eine Gruppe minderen Rechts zu sein. Die Deutschen stellten 1930 immerhin 22,3 % der Bevölkerung der Tschechoslowakei, in Böhmen sogar 33,4 %.

Die Nachkriegszeit und Gründung der Liberal-Sozialistischen Partei

Seit Ende der Vierziger Jahre wandte sich Willibald Gatter wieder verstärkt politischen Aktivitäten zu. Mit der Sudetendeutschen Landsmannschaft setzte er sich aktiv für ein Rückkehrrecht der Sudetendeutschen ein und für einen Rückerhalt der deutschen Siedlungsgebiete in den Grenzen des Münchner Abkommens von 1938 (erst mit dem "Normalisierungsvertrag" zwischen der Bundesrepublik und Tschechoslowakei vom 11. Dezember 1973 sollte dieses Abkommen für nichtig erklärt werden). 1952 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Liberal-Sozialistischen Partei Deutschlands, einer von zahlreichen kleinen Nachkriegsparteien. Die Partei war aus einem Netzwerk geistesverwandter Denkerinnen und Denker hervorgegangen die auf unterschiedlichen Wegen nach einer Synthese von persönlicher Freiheit und sozialer Gerechtigkeit strebten. Zu ihnen gehörten etwa Leo Tolstoi, Martin Buber, George Sand, Albert Camus, Emma Goldman, Simone Weil und Rudolf Steiner.

Nachdem ihre weitsichtigen Warnungen vor dem Kollektivismus und Führerkult totalitärer Herrschaftssysteme durch die Geschichte bestätigt worden waren, wandte sich der Liberalsozialismus im Nachkriegsdeutschland der Aufgabe zu, "die die Marktwirtschaft und Demokratie verfälschende Konzentration wirtschaftlicher und politischer Macht zu überwinden" und so einen Sonderweg zwischen westlichem Kapitalismus und östlichem Kommunismus zu finden. Als einer der Vordenker der Liberal-Sozialistischen Partei entwarf Gatter deren europäisches Programm für die Bundestagswahlen von 1953, in welchen er als Bundestagskandidat für den Kreis Nürtingen antrat. Unter dem Motto "Weder Kapitalismus noch Staatssozialismus" forderte das Programm weit vor Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft den Aufbau einer europäischen Verfassung, eine gemeinsame europäische Währung sowie den Abbau von Zollschranken und nahm so die Europa-Politik der Bundesrepublik teils um Jahrzehnte vorweg.

Auch eine "Europaarmee" galt es ins Leben zu rufen, die "nicht als Schutztruppe des Kapitalismus, wohl aber zur Verteidigung der demokratischen Ideale von Freiheit, Menschenwürde und Besitz" fungieren solle. "Diese muss aus den besitz- und vaterlandslosen Gesellen ... wieder freie selbstbewußte Männer machen, die in den Idealen der Gemeinschaft auch ihre eigenen verteidigen. Die Jugend die Leib und Leben für sie opfern soll, wird mit harter und fester Hand diese unabdingbaren Forderungen der Gemeinschaft gegen die maßlose Selbstsucht einer kleinen Minderheit durchsetzen müssen. Sie wird mit diesem Kampfe das Tor in eine bessere und gerechtere Welt aufbrechen." Willibald Gatter beschwor auch die Notwendigkeit eine gemeinsame euopäische Kultur zum Aufblühen zu bringen durch eine Vereinheitlichung von Maß-, Verkehrs- und Rechtswesen. "Auch durch Ausgestaltung einer zusätzlichen und vereinfachten universellen Sprache und Schrift müssen die nicht mehr vertretbaren Hindernisse einer wahren Völkerverständigung beseitigt werden, um die verwandten Völker zu gleichem Wollen und gemeinsamer Arbeit zusammen zu führen."

Dies schloss für Gatter auch die Völker des von der Sowjetunion besetzten Osteuropas ein: "Die mit Demokratie unvereinbare kommunistische Gewaltherrschaft muß durch die freiheitliche und soziale Wirtschaftsordnung und die überragende materielle und geistige Kultur des neuerstehenden einigen Europas mit friedlichen Mitteln zurückgedrängt werden, um die Europäer wieder im westlichen Kulturkreis zu vereinigen." Wichtig war Willibald Gatter aber auch die Unabhängigkeit der Denker, Forscher und Erfinder, zu denen er ja selbst gehörte. So galt es die "Ausbeutung der schöpferischen Geistesarbeit" zu beseitigen und somit die "Hauptwurzel kapitalistischer Machtkonzentration" auszureißen. Eine Neuordnung des Patent- und Urheberrechts sollte Erfindern den Weg zu "vollem Arbeitsertrag" bahnen. In seinem wirtschaftspolitischen Spätwerk "Weder Kapitalismus noch Kommunismus - Europas Liberal-Sozialismus" legte Gatter 1973 die Ziele und Ideale der Partei rückblickend dar.

 


Letze Seite des vierseitigen Programms der Liberal-Sozialistischen Partei (1953)